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Das Kiew des Jahres 1992 hat sich verändert. Aber in vielen Dingen scheint es auch gleichgeblieben. Es lohnt sich Osip Mandelstams Stadtbeschreibung aus dem Jdhre 1926 zu lesen. Man begreift dabei etwas vom Wesen einer Stadt, die bis vor kurzem noch zuallererst und vor allem Hauptstadt einer Sowjetrepublik war. Neuerdings ist Kiew Hduptstadt der selbstständigen Republik Ukraine. Das mag für westliche Ohren relativ selbstverständlich klingen. Hinter den Kulissen freilich verbindet sich damit eine Fülle von Problemen.
Kiew im März 1992: Über der Kresciatik – Kiews Haupt- und Prunkstraße – schwebt ein gesponserter Luftballon, just an der Stelle, an der bis vor kurzem noch eines der größten Lenin- Denkmäler der Stadt gestanden hatte. Die Statue war gestürzt worden. Der verwaiste Sockel dient jetzt als Ankerplatz für eben jenen eigenartigen in der Luft zappelnden Ballon.
Anläßlich des Klara-Zetkin-Tages (so etwas wie der sowjetische Muttertag) hat eine der neugegründeten Privatbanken diesen Luftballon, beschriftet mit Glückwünschen für die Frauen der Ukraine steigen lassen. Ein simpler Werbe- Gag könnte man meinen. Ein Zeichen des Aufbruchs in eine neue Zeit. Aber mehr noch: Dieser träge baumelnde Ballon, dort wo früher ein steinerner Lenin stand, charakterisiert mehr als alle Worte den Zustand des Landes. Die alten Götter sind gestürzt. Es gibt freilich noch keinen Ersatz. Dafür aber Hoffnungen. Träume Illusionen – Überlebensstrategien in einer Zeit des radikalen Umbruchs.
Das gilt für fast alle Lebensbereiche. Es gilt im Besonderen aber für die Kunst. Kunst. Kultur. Intelligenz und Poltikader gehörten zu den Privilegierten des alten Systems. Als Künstler bekam man in der alten Sowjetunion nach Verlassen der Akademie automdtisch Wohnung. Atelier. Material. Gehalt und Aufträge. Eine gesicherte Existenz also, von der so mancher Künstler im Westen heute nur träumen kann. Natürlich waren damit auch bestimmte Konditionen verbunden: Was Kunst war und wie Kunst auszusehen hatte, bestimmte die Partei. Der Begriff “künstlerische Freiheit”, so wie er im Westen verstanden wird, war schlicht und einfach inexistent. Künstler in der alten Sowjetunion waren de fdcto Dekorationsartisten in Sachen Politpropaganda. Selbstverständlich gab es trotz aller Restriktionen gewisse private Freiräume für Experimente. Die Möglichkeit bestand innerhalb gewisser Grenzen eigene Ideen zu realisieren. Eine, dem Westen vergleichbare Kunstszene – auch im Untergrund – gab es jedoch nicht.
Das änderte sich erst in den achtziger Jahren im Zuge der Reformversuche unter Gorbatschow. “Perestroika” und “Gldsnost” – die beiden im Westen so durchschlagenden Parolewörter – bedeuteten für die dlte Sowjetunion einen immer rascher, radikaler und – allem Anschein nach unkontrollierbarer – fortschreitenden Wandel des politischen und gesellschaftlichen Systems. Um es in einem handgreiflichen und anschaulichen Beispiel auszudrücken: Der amerikanische Dollar – einst verpöntes Symbol des feindlichen Kapitalismus – fungiert heute in der gesamten ehemaligen
UdSSR als Leitwährung mit galoppierenden Kurszuwächsen. Und das hat selbstverständlich Auswirkungen. Zum Beispiel in der Kunst. Kunst ist mittlerweile eine Art Synonym für harte Devisen. Dahinter steht die Erfahrung, daß Touristen und westliche Sammler in den achtziger Jahren im Zuge von “Gorbimania”‘ fast wahllos zusammenkauften, was nur irgendwie nach regimekritischer Kunst roch. Der Trend ist mittlerweile längst verebbt. Es herrscht Orientierungslosigkeit.
Im Westen ist man der zahllosen und unreflektiert zusammengekauften Ausstellungen sogenannter zeitgenössischer russischer Kunst überdrüssig. Im Osten stagniert mangels internationalem Austausch, der junge Kunstmarkt. Man jongliert mit fiktiven Preisen. Kunst wird allenfalls noch von den wenigen, dafür aber umso potenteren Post-Perestroika-Yuppies als inflationssichere Investitionsmöglichkeit angesehen. Das Gros der Bildenden Künstler steht vor einer tiefgreifenden materiellen und ideellen Identitätskrise. Einerseits ist mit Leninporträts und Ähnlichem kein Staat mehr zu machen. Zudem bricht das alte Verbands- und Versorgungssystem Zug um Zug zusammen. Andererseits ist der Einstieg in die westliche Kunstszene aufgrund der. noch immer schwierigen Kommunikationsstrukturen fast unmöglich.
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew erscheinen all diese Probleme noch einmal verschärft. Die Auswirkungen des jahrzehntelangen. auf Moskau zugeschnittenen Zentralismus sind dort, wie in all den neugegründeten Republiken besonders spürbar. Moskau ist nachwievor das einzige Tor zur westlichen Welt. Das gilt seit der Unabhängigkeitserklärung nur noch bedingt für den politischen Bereich. Kulturell jedoch scheinen noch immer alle wichtigen Fäden ins Ausland in Moskau zusammenzulaufen. Dort befinden sich die einzigen, einigermaßen funktionstüchtigen Privatgalerien mit West-Kontakten. Dort gibt es Zeitungen. Dort sitzen die einflußreichen Kritiker und Kunstvermittler.
Das. in München vom Verein Spielmotor initiierte Projekt ‘Dialog mit Kiew” ist demgemäß ein Versuch an dieser ungerechtfertigten Dominanz zu rütteln. München und Kiew sind seit Ende 1991 als Folge der Ost-Öffnung Partnerstädte. Und so entstand die Idee, die Chancen und Möglichkeiten dieser offiziellen Partnerschaft auch auf kulturellem Gebiet zu nutzen. Das Projekt “Dialog mit Kiew” war angelegt als eine Mischung aus Stipendium und Ausstellungspräsentation .
Acht junge Künstler aus Kiew und der Ukraine waren eingeladen worden, für vier Monate in München zu leben und zu arbeiten. Alle acht stammen aus dem Umkreis der sogenannten “Pariser Kommune'” in Kiew. Dahinter verbirgt sich eine lose, bei uns im Westen bislang unbekannte Gruppierung, die Ende der achtziger Jahre Wohnungen in einem heruntergekommenen Stadthaus in Kiew besetzte. Stilistisch orientierten sich diese Künstler In ihren frühen Arbeiten an der italienischen und deutschen Transavantgarde. Sie gehören einer Generation an. die erstmals künstlerisch auf die neuen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen in der ehemaligen Sowjetunion reagiert. Anfang September 1992 waren unter dem Titel ” Dialog mit Kiew l” in einer Ausstellung in der Villa Stuck Bilder und Installationen zu sehen, die diese Künstler aus der Ukraine mitgebracht hatten.
Drei Monate später, im Dezember 1992 wurden in der Künstlerwerkstatt Lothringerstraße jene Arbeiten gezeigt, die während des Aufenthaltes in München entstanden sind. Diese Ausstellung wanderte im Anschluß auch nach Leipzig, wo sie im Grassimuseum präsentiert wurde.
“Postanaesthesia” – der Ausstellungstitel stammt von den Künstlern – beschreibt die Gefühlslage einer jungen Generation: Das Erwachen nach einem langen Schlaf.
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